Was bringen Corona-Schnelltests?

Testabstrich
Abb. 1: Corona-Abstrich
(Foto: Andreas Brockmann / DRK)
Über Corona-Schnelltests, genauer Point of Care Antigentests auf Coronavirus SARS-CoV-2 oder POC AG-Tests auf SARS-CoV-2 hört und liest man derzeit viel. Positives und Negatives … und leider auch viel Falsches.

Bei systematischer und breitflächiger Anwendung sind Schnelltests ein nützlicher Baustein zur Pandemie-Eindämmung. Nicht mehr und nicht weniger. Man muss sie nur sinnvoll einsetzen und die Ergebnisse richtig bewerten. Das allerdings ist nicht eben trivial, es setzt doch etwas tiefergehende Kenntnisse über die Infektionscharakteristik des Virus, die verfügbaren Nachweismethoden und Statistik voraus.

Inhalt
Vergleich PCR- und POC-Test
Viruslast bei Covid-19
Prädiktiver Wert des POC-Tests
    Beispiele – u.a. POC-Tests in der Schule
Welchen POS-Test nehmen?

PCR- und POC-Test im Vergleich

CT und Anzüchtbarkeit
Abb. 2: Virus-Vermehrungsfähigkeit bei verschiedenen Ct
(Quelle: Singanayagam et al. 2020)
PCR-Tests (genauer qRT-PCR) sind der Goldstandard der Covid-Diagnostik. Mit ihnen werden selbst kleinste Virusmengen und sogar Reste von nicht mehr infektiösem Virus aufgespürt.

Das liegt daran, dass im Abstrich enthaltenes Virusmaterial beim PCR-Test im Labor immer wieder verdoppelt wird, bis es von den Reagenzien erkannt wird. Übliche Tests durchlaufen 40-42 solcher Zyklen (=cycles), bevor sie als negativ bewertet werden. Bei positiven Befunden wird derjenige Verdopplungszyklus Cycle threshold (Ct) genannt, bei dem die Probe erstmalig positiv reagiert hat. Also: niedriger Ct = hohe Viruslast, hoher Ct = geringe Viruslast. Abb. 2 zeigt, dass eine Anzüchtung von vermehrungsfähigem Virus mit ansteigendem Ct immer seltener gelingt. Je höher die Ct der Probe, umso geringer ist auch die Infektiosität des getesten Menschen. Ab einem Ct von 30 sind Ansteckungen nur noch sehr selten, ab 35 gelten sie als Rarität.

POC-Test und Ct
Abb. 3: Sensitivität des Panbio® POC-Tests bei verschiedenen Ct
(Quelle: Kaiser L et al. 2020)
POC-Tests hingegen benötigen höhere Viruskonzentrationen, um einen positiven Befund zu erzeugen.

Vergleicht man PCR- und POC-Tests bei den gleichen Proben oder zumindest den gleichen Probanden, so weisen POC-Tests durchweg eine sehr hohe Spezifität (Häufigkeit negativer Tests bei Gesunden) zwischen 95 und 100 % auf. Die Sensitivität hingegen (Häufigkeit positiver Tests bei Infizierten) schwankt von Studie zu Studie und auch von Hersteller zu Hersteller stark zwischen 23 und 94 %. Dabei konnte mehrfach gezeigt werden, dass diese Sensitivität maßgeblich von der Viruslast in den untersuchten Proben abhängt. Abb. 3 zeigt das am Beispiel des Panbio®-Tests deutlich: Je höher die Ct der Probe, umso geringer ist die Sensitivität des Tests.

Um den Wert von Schnelltests in der Praxis zu beurteilen, sollte man sich also die Viruslast im Verlauf einer Covid-19-Erkrankung etwas genauer ansehen:

Covid-Verlauf und Ansteckungsrisiko

Covid-Verlauf und Tests
Abb. 4: Viruslast bei Covid-19 und Nachweisgrenzen von PCR-Test und Schnelltest (POCT) Grafik: J. Heuser

Die Viruslast nimmt einige Tage nach der Infektion rapide zu und ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Infizierte sind oft 1-2 Tage vor Beginn etwaiger Symptome schon ansteckend und 20-30 % entwickeln überhaupt keine Symptome, können aber trotzdem mehrere Tage lang ansteckend sein. Wir schätzen heutzutage, dass zum Zeitpunkt der Virusübertragung etwa die Hälfte der Ansteckenden oder Spreader keine bzw. noch keine Symptome aufweisen.

Zum Ende der Erkrankung geht die Viruskonzentration meist nur langsam mit von Mensch zu Mensch großen Unterschieden zurück. PCR-Tests mit ihrer sehr hohen Empfindlichkeit sind in dieser Phase oftmals noch positiv, wenn eine Ansteckung schon nicht mehr wahrscheinlich ist. Da die Ansteckungsfähigkeit nicht exakt gemessen werden kann, hilft hier nur ein Blick auf die Viruskonzentration und die Virusvermehrung in Zellkulturen. Mit Blick auf diese Surrogatparameter schneiden POC-Tests durchaus vielversprechend ab: In einer aktuellen Untersuchung der Ciesek-Arbeitsgruppe aus Frankfurt erreichten vier untersuchte POC-Tests zwar im Gesamtkollektiv nur eine Sensitivität von 24.3-50 %, für Proben mit hoher Viruslast (>6 log10 RNA copies/mL) aber 81.8-100 %. Und während nur 51.6 % der PCR-positiven Proben in Zellkulturen infektiös waren, waren es von den POC-positiven Proben 61.8–82.4 %.(Kohmer et al. 2021)

Zusammengefasst: Schnelltest erfassen bei Weitem nicht alle Fälle, in denen der klassische PCR-Test positiv ausfällt. Es spricht aber vieles dafür, dass gerade die wirklich ansteckenden Fälle sogar sehr gut vom Schnelltest erfasst werden.

Was sagt uns ein positiver/negativer Test?

Viele Menschen neigen spontan zu der Annahme, dass die Antwort auf diese Frage recht einfach sei, wenn man sich mit dem Test nur gut genug auskennt. Außerdem glauben viele, die Antwort sei für alle Testpersonen immer gleich. Davor sind auch Fachleute nicht gefeit. Beispiel: Beim Cosmo-Projekt Schnelltests (Gemeinschaftsprojekt von Uni Erfurt, Robert Koch Institut, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung u. a. ) heißt es unter „Wissen über die Gültigkeit von Schnelltest-Ergebnissen“

Zwar denken nur 34 %, dass sie bei einem positiven Ergebnis tatsächlich COVID19 haben, allerdings vermuten die meisten Personen, dass unter 10 positiv getesteten Personen 5 oder 8 davon tatsächlich COVID19 haben. 50 % überschätzen die Anzahl (korrekt: ca. 6,5).

Genau diese vermeintlich korrekte Antwort ist aber leider falsch. Wahr ist, dass je nach Vortestwahrscheinlichkeit von 10 Personen mit positivem Testergebnis ca. 1 – 9,5 tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert sind. Um das zu verstehen, muss man sich ein bisschen mit bedingten Wahrscheinlichkeiten beschäftigen. Sowohl der positive prädiktive Wert (PPV = Wahrscheinlichkeit, dass bei positivem Test tatsächlich Covid-19 vorliegt) als auch der negative prädiktive Wert (NPV = Wahrscheinlichkeit, dass bei negativem Test tatsächlich kein Covid-19 vorliegt) hängen nämlich entscheidend von der Covid-19-Häufigkeit im untersuchten Kollektiv (Vortestwahrscheinlichkeit oder Prävalenz) ab. Ein Beispiel mag das verdeutlichen:

Beispiel: Regelmäßige Schnelltests bei asymptomatischen Schülern und Lehrern

500 Personen führen 2-mal wöchentlich Schnelltests durch. Nehmen wir eine Häufigkeit von Covid-19 (=Prävalenz) von 1 % an, dann erhalten wir bei 1.000 Tests (Sensitivität = 80 %, Spezifität = 99 %) insgesamt 18 positive und 982 negative Befunde.

AG-Schnelltest bei 1 % Prävalenz
Abb. 5: POC-Test bei einer Prävalenz von 1 % (Grafik J. Heuser)

8 von 10 Infektionen wären also aufgedeckt und somit 80 % der Infektionsketten sofort unterbrochen. PCR-Tests hätten zwar alle 10 Infektionen erkannt, sind aber schon aus Kapazitätsgründen illusorisch und würden zudem frühestens am Ende des Schultages zum Ergebnis führen. Das frühere Ergebnis lässt POC-Tests in einem solchen Szenario sogar als Testsieger vom Platz gehen: Nimmt man eine mittlere Dauer der Infektiosität von 3 Tagen ab Testzeitpunkt an, so könnten POC-Tests der Schule pro Woche 24 Tage Ansteckungsrisiko ersparen, PCR-Tests aber nur 20.

Da der positive prädiktive Wert in diesem Szenario nur 44 % beträgt, würde man pro Woche auch 10 falsch positive Tests erhalten. Nennenswerter Schaden ensteht dadurch nicht, da jeder positive Schnelltest mittels PCR überprüft wird und die vorsorgliche Isolierung in diesen Fällen nach 1-2 Tagen beendet werden kann.

Andere Szenarien führen zu anderen Schlussfolgerungen:

Szenario Prävalenz PPV NPV
Sehr geringe Corona-Inzidenz 0,1 % 10 % 100 % Details/Beispiele
Anlassloser Test Jan. 2020 1 % 44,4 % 99,8 % Details/Beispiele
Anstatt eines PCR-Tests Jan. 2020 11,5 % 91,1 % 97,4 % Details/Beispiele
Internistische Notaufnahme Nov. 2020 20,7 % 95,4 % 95 % Details/Beispiele

Welchen Test nehmen?

Zum Schluss noch ein paar Anregungen für die Beschaffung. Es ist nämlich so, dass die BfArM-Liste der erstattungsfähigen AG-Tests mittlerweile (Stand 17.01.2021) 336 Produkte umfasst, die das neue Coronavirus mit einer Sensitivität >80 % und einer Spezifität 97 % erfassen sollen.

Die Erfüllung dieser Gütekriterien ist aber bei der Mehrzahl der Tests lediglich vom Hersteller konstatiert, unabhängig überprüft ist nur ein kleinen Teil davon:

  • Die Sensitivität wird auf Betreiben des Paul-Ehrlich-Insituts sukzessive von mehreren Referenzlaboren anhand von Abstrichpools überprüft. Dabei werden jeweils 50 Proben (18 x CT <25, 23 x CT 25-30 und 9 x CT >30) analysiert. Unterschreitet die Test-Sensitivität 80 %, wird das Produkt von der o.g. Liste gestrichen. Aktuell (Stand 17.01.2021) sind 25 Tests überprüft (Liste hier)
  • Denkinger et al. (Uni Heidelberg) betreiben mit diagnosticsglobalhealth.org eine Webseite, die publizierte Studien mit AG-Tests listet und die Ergebnisse tabellarisch darstellt.

3 Antworten auf „Was bringen Corona-Schnelltests?“

  1. Liebe Angelika, Danke für’s Lesen und Kommentieren. Ja, es ist nicht so einfach, wie viele es wohl gerne hätten. Was ich gut verstehen kann, ich hätte es auch gern simpler. Besonders natürlich in Fachgebieten, von denen ich nix verstehe… in der eigenen „Blase“ merkt man ja oft gar nicht, wie komplex die Dinge dann doch sind. An den Schnelltests liegt mir derzeit grad sehr viel, weil sie in den kommenden Monaten den Unterschied zwischen „grad noch mal davongekommen“ und „gruselige 3. Welle“ ausmachen können.

    Schöner Frühstücks-Artikel übrigens 🙂

    1. Ja. Es ist gut, dass ich durch deine Erklärung verstanden habe, dass es für Laien schwer zu verstehen ist, wann ein Test Sinn macht und was die Ergebnisse bedeutet. Seufz, jetzt kann ich mich einmal weniger aus der Affaire ziehen und muss doch meinen Kommentar abgeben, wenn Leute schimpfen, weil sie meinen, es sei einfach. Ich kann dann aber zum Glück
      sagen: ‚Also so ganz kapiert habe ich es nicht, aber glaub mir, es ist nicht einfach. Lies mal auf teufelsmoor. eu‘?. Und bezüglich Frühstück. Danke. War nett mit Ulf. Der ist ein freundlichen Geselle und er hat Corona auch schon einmal durch…. bleib gesund und munter!

  2. Lieber Jürgen, du hast alles gegeben. Wow! Ich meine so annähernd verstanden zu haben. Vor allem habe ich aber verstanden, dass ich ganz schön froh bin, das nicht wissen und verstehen zu müssen sondern im Zweifel Fachleuten (wie dir?) vertrauen kann. Virologie UND Wahrscheinlichkeitsrechnung-Himmel hilf. Zum Glück habe ich mein Abi schon…. Also Danke fürs Aufdröseln. ?

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