Nutzen von Prävention wird überschätzt

Mühlhauser I:Zur Überschätzung des Nutzens von Prävention. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (2014) 108:208-218
doi.org/10.1016/j.zefq.2013.11.006

Hintergrund
Nicht nur medikamentöse, sondern auch nicht-medikamentöse präventive Maßnahmen können mehr schaden als nutzen. Da sich Vorsorgeuntersuchungen an gesunde bzw. beschwerdefreie Menschen richten, müssen aussagekräftige Studien zur Nutzen-Schaden Bewertung, üblicherweise aus randomisiert-kontrollierten Studien (RCT), vorliegen. An Beispielen soll gezeigt werden, dass der Nutzen von Präventionsmaßnahmen überschätzt wird.

Methoden
Anhand aktueller Kriterien zur Bewertung von Screening-/Vorsorgeprogrammen werden ausgewählte Präventionsmaßnahmen kritisch diskutiert. Die Kriterien beziehen sich auf die Erkrankung, das Testverfahren, die Behandlungsmöglichkeiten und das gesamte Programm einschließlich Evaluation und Qualitätssicherung. Zum Thema Prävention und Früherkennung von Diabetes Typ 2 wird exemplarisch gezeigt, welche Anforderungen an Vorsorgemaßnahmen gestellt werden und in welchem Ausmaß diesen entsprochen wird. Es werden vorrangig systematische Übersichtsarbeiten / Cochrane Reviews aus RCTs benutzt.

Ergebnisse
Ein aktueller Cochrane Review aus 16 RCTs kommt zu dem Ergebnis, dass ein Nutzen von generellen Gesundheitsuntersuchungen (health checks) nicht nachweisbar ist. Zu den Einzelkomponenten der Gesundheitsuntersuchungen fehlen oftmals RCTs oder vorhandene Evidenz kann eine Wirksamkeit nicht belegen. Hingegen liegen für die immer weitere Absenkung der Normgrenzen und Zielwerte für Blutzucker und Blutdruck inzwischen RCTs vor, die belegen, dass der Schaden überwiegt. Wesentliche Kriterien für die Implementierung von Vorsorgemaßnahmen sind nicht erfüllt. Zur Diabetesprävention bestehen Unsicherheiten in Bezug auf die klinische Bedeutung von Prädiabetes, die Behandlung von Prädiabetes und Diabetes, sowie Diabetesdiagnosen bei älteren Menschen oder bei Begleiterkrankungen, zur Auswahl von Testverfahren und Zielgruppen. Die ADDITION Studie konnte keinen Nutzen von Screening auf Diabetes nachweisen. Intensive Interventionen zur Änderung des Lebensstils führen zwar zu einer mäßigen Reduzierung des Körpergewichts und zu weniger Diabetesdiagnosen. Die klinische Relevanz dieser Effekte scheint jedoch fraglich bis unbedeutend. So wurde die Look AHEAD Studie nach fast 10 Jahren vorzeitig abgebrochen, da intensive Lebensstiländerungen das Auftreten kardiovaskulärer Diabeteskomplikationen nicht reduzieren konnten und es aussichtslos schien, einen solchen Effekt in den weiteren ursprünglich geplanten 3 Jahren Studiendauer noch nachweisen zu können.

Schlussfolgerung
Der Nutzen von Prävention wird überschätzt, der Schaden unterschätzt. Es ist unwahrscheinlich, dass medizinische Gesundheitsuntersuchungen mit Maßnahmen zur individuellen Verhaltensänderung die Gesundheit der Bevölkerung nachweisbar verbessern können.

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