Radweg Buschhausen

Nach Abschluss der Bauarbeiten an der sog. Betonstraße (Heidkrug/Heilshorner Str. – L 149) inkl. Ortsdurchfahrt Buschhausen war ich sehr gespannt, wie die Bedürfnisse des Radverkehrs umgesetzt worden sind. Und um es vorweg schon mal prägnant zusammenzufassen: Ich bin mehr als enttäuscht. Mir fehlte offen gesagt die Vorstellungskraft, dass Straßenbau heutzutage noch so 70er-Jahre sein kann und darf. Die jetzige Verkehrsführung missachtet das Sicherheitsbedürfnis von Fußgängern und Radfahrern und widerspricht geltenden Verwaltungsvorschriften zur StVO und allen einschlägigen Empfehlungen.
Update vom 15.9.2022

Worum geht es?

Die L 149, Hauptverbindung zwischen Osterholz-Scharmbeck und Schwanewede, ist eine mäßig bis viel befahrene Straße. 2011-2018 wurden östlich der B74 ca. 16.000 Kfz/Tag (davon ca. 300 Schwerverkehr) und westlich der B74 ca. 7.500 Kfz/Tag gezählt.

Ortsdurchfahrt Buschhausen
Ortsdurchfahrt Buschhausen
Breite des Fuß-/Radweges bei 2,0 m, bei - 1,40-2,20 m

Zwischen Juli 2021 und Juni 2022 hat die NLStBV (Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr) auf einem 1,3 km langen Teilstück zwischen Pumpelberg und Ortsausgang Buschhausen die alte Betondecke gegen sog. Flüsterasphalt ausgetauscht und den Geh-/Radweg rückgebaut und erneuert (geplante Baukosten 2,4 Mio. €, Projektbeschreibung hier). Trotz der umfangreichen Baumaßnahme bleibt der Straßenquerschnitt wie vor 50 Jahren einseitig autozentriert aufgeteilt und Fußgängern und Radfahrern viel zu wenig Raum. Für Radfahrer ist zu allem Überfluss in beide Fahrtrichtungen eine Benutzungspflicht für den vorschriftswidrig unterdimenionierten Geh-/Radweg angeordnet. Was vor der „Modernisierung“ vielleicht noch als Notbehelf zu rechtfertigen war, ist nach der 10-monatige Baumaßnahme in meinen Augen nur noch als Fehlplanung anzusehen.

Viel zu eng

Maßgeblich für die Gestaltung des Verkehrsraumes sind in Deutschland

  • die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO, zuletzt akt. 2021),
  • die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen Ausgabe 2010 (ERA 2010) und
  • die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06, Ausgabe 2007).

Sie alle enthalten Vorschriften bzw. Empfehlungen für die Mindestbreite von gemeinsamen Geh- und Radwegen (Zeichen 240):

Radweg Innerorts Außerorts
VwV-StVO 2,50 m inkl. Sicherheitsraum(1) 2,00 m inkl. Sicherheitsraum(1)
ERA ≥2,50 m + 0,50 m(2) 2,50 m + 1,75 m(2)
RASt 06 ≥2,50-3,00 m + 0,75 m(2)
(1)Ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung kann von den Mindestmaßen dann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z. B. kurze Engstelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden.
(2)Sicherheitstrennstreifen

Ortsdurchfahrt Buschhausen
Tatsächliche Breite des Geh-/Radweges
Diese Mindestmaße gelten wohlgemerkt schon für Geh-/Radwege mit Einrichtungs-Radverkehr. Für Zweirichtungs-Radwege wie hier in Buschhausen wird ein höheres Regelmaß empfohlen (lt. ERA 3,0 m), allerdings in der VwV-StVO nicht zwingend vorgeschrieben. Wie auch immer unterschreitet der neue Fuß-/Radweg die Anforderung nicht nur auf Höhe der Bedarfsampel an der Kreuzung Kohlgarten (s. Foto), sondern mit 1,80 + 0,40 m auf gesamter Länge innerhalb der Ortsdurchfahrt Buschhausen.

Vorschriftswidrige Anordnung der Benutzungspflicht

Niemand anders als der Bauträger selbst, die NLStBV, hat 2013 in ihrem aus meiner Sicht vorbildlichen Leitfaden Radverkehr (Download hier – 7.9 MB) festgestellt:

Radwege dürfen nur als benutzungspflichtig ausgewiesen werden, wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Verkehrsablaufs tatsächlich zwingend erforderlich ist und die Mindestanforderungen nach VwV-StVO eingehalten sind.

Diese VwV-StVO ist für Straßenverkehrsbehörden verbindlich und insbesondere zur Anordnung einer Benutzungspflicht linksseitiger Radwege unmissverständlich:

II. Freigabe linker Radwege (Radverkehr in Gegenrichtung)
1. Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden.

Eindrücke aus der Praxis

Radweg Buschhausen
Konfliktpotenzial an Einfahrten
Nur wenige Tage nach Neueröffnung der Straße wurde ein 80-jähriger Radfahrer auf dem Geh-/Radweg der L149 von einem Autofahrer angefahren und verletzt, als Letzterer einen Parkplatz verlassen wollte (Polizeibericht). Das nebenstehende Foto zeigt das Problem linksseitiger Radwege eindrucksvoll. Aus der Perspektive von Radfahrern ist nahezu jede Grundstücksausfahrt problematisch und auch für Autofahrer ist es selbst bei sehr vorsichtigem „Vortasten“ ohne zusätzlichen Einweiser fast unmöglich, Autoverkehr und gleichzeitig aus beiden Richtungen zu erwartende Radfahrer im Auge zu haben.

Straßenraum ist knapp in Deutschland und die Ansprüche an ihn sind vielfältig. In diesem Spannungsfeld muss Verkehrsplanung die Nutzungsansprüche ausgewogen berücksichtigen und erfüllt nicht zuletzt auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Im innerstädtischen Bereich wollen wir den Anteil des Radverkehrs deutlich steigern, das ist der Wunsch einer Mehrheit der Bevölkerung. Die Bereitschaft dazu stiegt auch kontinuierlich, aber dazu bedarf es auch einer „einladenden“ Infrastruktur.

Radweg Buschhausen
Wie würden Autofahrer reagieren, wenn diese Tonne auf die Fahrbahn gestellt worden wäre?
Auf diesem Geh-/Radweg sollen sich Bewohner des benachbarten Seniorenheimes ggf. mit Rollator, 80-Jährige Pedelec-Fahrer und Eltern mit Lastenfahrrad für ihre Kleinkinder auf dem Weg zum benachbarten Kindergarten gefahrlos begegnen können.

Wie ausgewogen ist es da, wenn die Fahrbahn breiter angelegt wurde als nötig, dafür aber der gemeinsame Geh- und Radweg vorschriftswidrig zu schmal? Wie ausgewogen ist es, wenn Radfahrer dann auch noch per Radwegbenutzungspflicht von der Fahrbahn vertrieben und auf den für sie gefährlichen und zudem vorschriftwidrig unterdimensionierten linksseitigen Fuß-/Radweg gezwungen werden? Was würde es wohl für einen Aufschrei geben, wenn dafür in schöner Regelmäßigkeit 1x wöchentlich die Mülltonnen auf die Fahrbahn gestellt werden müssten?

Einen passenden Schlusssatz habe ich in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln gefunden, so geschrieben bereits 2006:

Grundsätzliche Überlegungen
Planung und Entwurf von Stadtstraßen müssen sich an Zielsetzungen orientieren, die sich aus der Bewohnbarkeit und Funktionsfähigkeit der Städte und Gemeinden ergeben und die eine ausgewogene Berücksichtigung aller Nutzungsansprüche an den Straßenraum verfolgen. Dabei wird es vielfach – vor allem in Innenstädten – notwendig sein, die Menge oder zumindest die Ansprüche des motorisierten Individualverkehrs an Geschwindigkeit und Komfort zu reduzieren und den Fußgänger- und Radverkehr sowie den öffentlichen Personenverkehr zu fördern. Dadurch lassen sich viele problematische Situationen an vorhandenen Stadtstraßen verbessern und an geplanten Stadtstraßen von vornherein vermeiden.

Nachtrag:
Eine ergänzende Presserecherche zeigt, dass das Problem des zu schmalen Geh- und Radweges lange Zeit bekannt war. Im Februar 2020 äußerte sich Bürgermeister Rohde in Bezug auf eine umfassende Sanierung des Rad- und Fußwegs zurückhaltend. Zwar sei der Radweg „in einigen Bereichen wirklich nicht gut“, insgesamt aber könne die Sanierung nur im bestehenden Umfang erfolgen. „Das bedeutet, wir werden nicht breiter, da dort der Platz fehlt.“ Ansonsten müsse die Stadt Grundstücke erwerben. Und dazu sei im Haushalt kein Geld vorhanden. Da die Instandsetzung entlang der L 149 innerhalb der Ortsdurchfahrt stattfinde, müsse die Stadt nur 50 Prozent der Kosten tragen, erläutert Rohde. (Quelle: Osterholzer Kreisblatt 29.02.2020)
Im März und nochmals im Mai 2020 hatte die SPD „Nacharbeiten an der Planung“ u. a. bzgl. Mängeln an der Radwegplanung gefordert, die am 13. Februar 2020 im Rathaus vorgestellt worden sei. (Quelle: Osterholzer Kreisblatt 12.03. und 02.05.)

Außerdem wurde vom Ingenieurbüro PGT ein Gutachten für die Verbesserung des Radverkehrs in Buschhausen erstellt. Das Büro kam zu dem Ergebnis, dass ein gemeinsamer Geh- und Radweg machbar sei. … Aufgrund der verhältnismäßig geringen Frequentierung und des unauffälligen Unfallgeschehens könne auch bei nicht ausreichender Breite weiterhin die Radwegebenutzungspflicht angeordnet werden. (Quelle: Öffentliches Protokoll über die Sitzung Bau- und Umweltausschuss v. 9.11.2020. S. 10 f.)

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