Teich oder Tümpel?

Starkes Teich in OHZ
Derzeit noch Teich
Die Diskussionen um Starkes Teich und das Bauprojekt Hinter der Kirche in der Innenstadt von Osterholz-Scharmbeck reißen nicht ab. Streckenweise mit recht amüsantem Hin und Her … wenn sie für die Zukunft der Innenstadt nicht so wichtig wären. Man sollte sie deshalb lieber ernst nehmen, oder nicht? Was denken Sie?

Worum geht es?

Die Häuser Hinter der Kirche 11 (ehemals Wärmestube der Diakonie) und Hinter der Kirche 11 sind im Besitz der Stadtentwicklungsgesellschaft (STEG), einem Gemeinschaftsunternehmen der Stadt und der Volksbank Osterholz eG. Sie will die Grundstücke seit Jahren verkaufen und 2012 gab es (endlich) mal wieder ein Angebot. Die „Wertoptimierer“ Grotelüschen & Weber AG aus Bremerhaven haben Planungen für ein 2½-geschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit einer Ladenzeile im Erdgeschoss und insgesamt 23 seniorengerechten 52-100 m² großen Komfortwohnungen vorgelegt (Skizzen davon sind im Ratsinformationssystem unter Gremien…Planungsausschuss…Oktober 2012 einsehbar).

demnächst dann Tümpel?
(Planungen im Okt. 2012: rot=Neubau - hellrot=Parkplätze - hellblau=Restteich)
Ergänzend zu den öffentlich zugänglichen Planungsunterlagen wurde im Januar 2013 mehrfach darüber spekuliert, dass das Bauprojekt auch das Eckhaus Kirchenstraße 6 und das angrenzenden Gebäude Kirchenstraße 8 (Modehaus Fluder) einbeziehen soll.

Der Konflikt

Zentraler Streitpunkt bei allen Planungen ist die Absicht der potenziellen Bauherren, aus Kostengründen einen Großteil des Teiches zuzuschütten und Parkplätze daraus zu machen. Die im geltenden Bebauungsplan für einen Neubau auf dem Areal vorgesehene Tiefgarage soll angeblich € 750.000 kosten und sei dem Investor nicht zuzumuten. Um diesen Zankapfel ranken sich jetzt vielerlei Artikel und Meinungsäußerungen, von sachlich über amüsiert bis bissig reichend. Spätestens im Januar 2013 wird dabei deutlich, dass die „Teich-oder-Tümpel-Frage“ als überaus geeignetes Lehrstück über das Dilemma der sog. Stadtentwicklung in Kleinstädten wie der Unsrigen taugt.

An der Oberfläche stellt es sich dar wie der hinreichend bekannte Disput zwischen „Verändern“ und „Bewahren“ oder „kommerziellem Fortschrittsdenken“ auf der einen und „ökologischem Idealismus“ auf der anderen Seite. Was bei genauer Betrachtung aber zu stark vereinfacht ist, und zwar beide Standpunkte betreffend. Denn was genau soll an asphaltierten Parkplatzflächen fortschrittlich oder wünschenswert sein? Es braucht nur einen kurzen Blick auf den Innenhof-Parkplatz hinter dem Dänischen Bettenhaus oder den noch recht neuen Parkplatz hinter dem Aldi an der Bahnhofstraße, um so etwas klar als unattraktiv und im wahrsten Sinn des Wortes billig zu erkennen. Andererseits ist das jetzige Ambiente des Teiches weder ökologisch wertvoll noch ideal. Er macht einen unbeachteten Eindruck und seine unmittelbare Umgebung wirkt zum Teil ziemlich gerümpelig. Viele auch langjährige Mitbürger kennen oder kannten ihn nicht mal, bevor er jetzt in das öffentliche Interesse rückte.

Viel wichtiger als die oberflächliche Entscheidung zwischen „Verändern“ und „Bewahren“ scheint mir die Richtung der unvermeidlichen Veränderung und die Grundhaltung dahinter zu sein. Die Innenstadt wird sich verändern, ob wir wollen oder nicht. Hier kann aber gesteuert werden, ob das in Richtung möglichst billiger 08/15-Neubauten mit lieblos asphaltierten Parkflächen geht oder in Richtung höherwertiger Gebäude mit Tiefgaragenplatz und Blick auf Grünanlagen und Teich. Wenn dieses Sahnestück unserer Innenstadt jetzt mit der Zielrichtung „Hauptsache weg“ verkauft und den Investoren zu Willen auch noch der Bebauungsplan geändert wird, wäre das ein eindeutiges Signal.

Die Chronologie

Oktober 2012 wird das Bauvorhaben im Planungs- und Stadtentwicklungsausschuss des Stadtrates vorgestellt. Gerüchteweise wird auch schon über den Abriss der Kirchenstraße 6 (ehemals Ihr Platz) spekuliert. Alle Fraktionen sprechen sich im Ausschuss gegen eine Teichverkleinerung aus. Ein Leserbrief im Kreisblatt merkt ironisch an, man könnte ja sonst die Teichstraße in Tümpelstraße umbenennen.

November 2012 berichtet das Kreisblatt, dass die SPD-Fraktion bereits umgestimmt wurde und jetzt für eine Teichverkleinerung sei. „Der Bau einer Tiefgarage ist für den Investor nach eigenen Aussagen wirtschaftlich nicht vertretbar“, so die SPD.

Neue Planung Mai 2013
(rot=Neubau - hellrot=Parkplätze - hellblau=Restteich)
Mitte Januar 2013 scheint die Angelegenheit entschieden: Das Kreisblatt zitiert am 19.1. unter der Überschrift „Parteien werden weich beim Teich“ Michael Rolf-Pissarczyk (CDU) und Brigitte Neuner-Krämer (Die Grünen) mit (scheinbaren?) Rückziehern: Die CDU wolle den Teich “so weit wie möglich” erhalten und die Grünen wollen ihn “berücksichtigt” wissen. Der nicht-öffentlich tagende Verwaltungsausschuss des Stadtrates habe sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen, nicht auf einer Tiefgarage zu bestehen. Diese übrigens solle ca. 750.000 € kosten.

Ende Januar 2013 ein weiterer Leserbrief („Es gibt kein Menschenrecht auf einen Parkplatz“) und dann der (scheinbare?) Rückzieher vom Rückzieher bei der CDU und Schulterschluss mit Bürgerfraktion, Die Linke und BiOS: Das Kreisblatt berichtet von einem „Ortstermin“ der Genannten, bei dem Brunhilde Rühl (CDU) die Ablehnung der Pläne durch die CDU-Fraktion bekräftigt. Rolf-Pissarczyk sei missverstanden worden. Wenige Tage später hat die Parteibasis der Grünen ihre Stadtratsfraktion ebenfalls zum Umdenken bewegt: dem Kreisblatt gegenüber („Die Grünen rudern beim Teich zurück“) spricht Neuner-Krämer jetzt von einer einhelligen Ablehnung einer Teichverkleinerung. Zwei weitere Leserbriefautoren plädieren „SPD sollte Umdenken“ und „Carsharing wäre Lösung“.

Ende Mai 2013 legten die potentiellen Bauherren einen neuen Plan vor, der nunmehr 85 % des Teiches erhalten soll. Er wurde am 3.6. im Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung beraten, die neue Skizze ist den Sitzungsunterlagen (Ratsinformationssystem unter Gremien…Planungsausschuss…Juni 2013) zu entnehmen. Im Ausschuss gab es Widerspruch von Seiten der Oppositionsparteien:
Bürgerfraktion (W. Pallasch): Blickachse auf den Teich sollte erhalten bleiben, deshalb kein nahtloser Anschluss an die Seniorenwhg. Teichstraße. Alles wirke zu eng, u.a. die Durchfahrt zu den Parkplätzen am Teich (3.5 m).
Die Linke (H. Behrens) Kritik, dass die Verwaltung nur mit dem Investor verhandelt habe. Es gehe um das gesamte Quartier.
CDU (B. Rühl) fordert die Einbeziehung des frisch konstituierten Innenstadtbeirates.
Die Grünen sehen das Objekt als zu eng und betonlastig.
Von Seiten der SPD warf J. Monsees seinen Kollegen der Opposition Populismus vor, wenn diese mehr Bürgerbeteiligung einforderten. Die sei geplant, das sei der Sinn des Vorentwurfes. Gegen die Stimmen der SPD (6:5 Stimmen) beschloss der Ausschuss schließlich eine weitere Bürgerbeteiligung, so dass der vorgelegte „neue“ Plan vorerst Papier bleibt. (Quelle: Osterholzer-Anzeiger 5.6.13)
Etwas überraschend zog Bürgermeister Wagener den Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes darauf hin im Verwaltungsausschuss zurück. Damit wolle er „dem gesamten Stadtrat die Gelegenheit geben, sich klar darüber zu werden, wie die weitere Entwicklung dieses bedeutenden innerstädtischen Areals aussehen soll. … Eine Stadtentwicklung, die auf knappen Mehrheiten oder gar auf Kampfabstimmungen beruht, ist nicht tragfähig und den Osterholz-Scharmbeckern kaum zuzumuten.“ (Quelle: Osterholzer Kreisblatt 12.6.13)

Januar 2014 Bei einer Einwohnerversammlung am 8. Januar (Bericht dazu) wurde überwiegend Kritik an den aktuellen Plänen laut. Darauf hin lehnten sowohl der Ratsausschuss für Planung und Stadtentwicklung am 21. als auch der nicht-öffentliche tagende Verwaltungsausschuss am 23. Januar die Eröffnung des Verfahrens zur Änderung des Bebauungsplanes ab.

2 Antworten auf „Teich oder Tümpel?“

  1. Im Grunde haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen, sehr geehrter Herr Heuser. Es geht hier nicht um die Frage „Teich oder Tümpel“ bzw. „Alles oder Nichts“. Es geht um eine sinnvolle und zukunftsweisende Entwicklung unserer Innenstadt. Widerstreitende Interessen müssen dabei einer verständigen Würdigung unterzogen und gut miteinader abegewogen werden. Da die Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie gelernt haben, sich derart weitreichende Planungen nicht mehr von der „Obrigkeit“ vorsetzen zu lassen, sondern sich über die gesetzlich vorgesehenen Verfahren hinaus in die Planungen einbringen wollen (und m.E. auch sollen) halte ich in solchen Fällen eine frühzeitige Bürgerbeteiligung für unerlässlich. Fachplanung und Bürgerbeteiligung müssen m.E. von Beginn der Überlegungen an miteinander verknüpft und in einem demokratischen Dialog zur endgültigen Planung entwickelt werden. Daher war es richtig dass Bürgermeister Wagener den Antrag zurückgezogen hat und nun eine Einwohnerversammlung durchgeführt wird. In der Sache selbst, stimme ich Ihnen weitgehend zu. Allerdings müssen die auf dem „Sahnestück“ zu errichtenden Wohnungen und Gewerbeflächen für die Mieter auch bezahlbar sein, was den Anforderungen an Hochwertigkeit Grenzen setzt und einer Tiefgaragenlösung entgegenstehen könnte.

    1. Da stimme ich Ihnen zu, lieber Herr Schauer, natürlich muss es bezahlbar sein. Niemand wird (hoffentlich) ein Luxus-Penthouse für die Geissens im Auge haben, aber für mich als interessierten Laien gibt es doch ausreichend Beispiele für „angemessenen“ Wohnungsbau mit Tiefgaragen, die als Wohn- und Geschäftsraum gut angenommen wurden und auch die Investoren nicht in die Insolvenz getrieben haben. „Haus am Markt“, das ehemalige Waldhaus am Erntefestplatz und das Eckhaus Bahnhofstr./Am weißen Sande sind nur einige Beispiele. Die 50+-Generation mit dem Wunsch, wieder stadtnäher und „urbaner“ zu wohnen, will meist ein Kfz „sicher“ untergestellt wissen und nicht unbedingt vorn und hinten auf zweckmäßig asphaltierte Parkflächen schauen. Ich habe allein in den letzten 2 Jahren bei mindestens drei Ehepaaren und einem Single erfahren, dass sie hier nichts finden und aus OHZ weggezogen sind oder damit rechnen.

      Ich freue mich, dass Sie Sich dieses Themas annehmen. Die demografische Perspektive macht es in meinen Augen zu einer sehr wichtigen Aufgabe, jetzt die vorhandenen Ansätze für eine noch lebenswertere Innenstadt weiter zu entwickeln. Gerade bei dieser sehr exponierten Lage sollten wirklich alle Alternativen sorgfältig auf Realisierbarkeit hin abgeklopft werden, bevor man sich möglicherweise voreilig von erklärtermaßen „werteoptimierenden“ Investoren eine Änderung der bestehenden Bauplanung aufdrängen lässt.

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