H&M in Osterholz-Scharmbeck?

H&M-Filialen im Elbe-Weser-Dreieck
In der Diskussion um die Stadtentwicklung von Osterholz-Scharmbeck wird liebend gern über die Ansiedlung „großer Filialisten“ geredet und geschrieben. Einerseits wird das Argument von 1.000 qm Flächenbedarf immer wieder zur Begründung für Großprojekte herangezogen, andererseits scheinen recht viele ein Bedürfnis nach einem entsprechenden Angebot zu haben, zuletzt beispielweise bei der Zufallsbefragung von Passanten durch das Kreisblatt. Sehr häufig fällt dabei der Name des Größten in der Textilbranche, Hennes & Mauritz (H&M). Wenn ich das höre, drängen sich mir immer gleich zwei Fragen auf:

1. Ist das realistisch?
2. Ist es für die (mittelfristige) Stadtentwicklung wünschenswert?

Wobei klar sein dürfte, dass man sich die Antwort auf die zweite Frage schenken kann, wenn die erste verneint wird. Reden wir also über Realisierbarkeit.

Realistisch?

Die Meinungen vermeintlicher und selbsternannter Fachleuten gehen dermaßen auseinander, dass man als Laie nicht umhin kommt, sich selbst ein wenig zu informieren:

Gegründet 1947 in Västerås, hat H&M 1980 seine erste Deutschland-Filiale eröffnet und erwirtschaftet jetzt hierzulande mit 412 Filialen (Ende August 2013) den mit Abstand größten Umsatz innerhalb des Konzerns. Im Jahr 2012 waren das 30.3 Mrd Schwedischen Kronen oder knapp 3.5 Mrd Euro. Laut manager-magazin 2012 erlöst H&M pro Quadratmeter Verkaufsfläche 3.800 Euro jährlich. Im Jahr 2013 hat sich H&M nach eigenen Angaben hauptsächlich auf Erweiterung in China und den U.S.A. konzentriert und den Internethandel vorangetrieben. (Quelle: H&M Press Conference 30 Jan 2013 Full-Year Report).

Die Ansiedlungspolitik ist bei H&M sehr detailliert vorgegeben und wird als Geschäftsgeheimnis betrachtet. Immer wieder wird betont, dass sich H&M grundsätzlich auf die „bedeutendsten“ Städte eines Landes konzentriert und dass für neue Filialen das Prinzip der „besten Geschäftslage“ gilt. Vor diesem Hintergrund: Würde H&M eine Filiale in Osterholz-Scharmbeck (30.500 Einw.) eröffnen, wenn die nächsten in Vegesack (15 km oder 20 Autominuten) und der Waterfront (19 km oder 22 Autominuten) liegen? Ein Blick auf die Neueröffnungen der letzten Jahre bringt vielleicht weiter:

  • 2011 wurde erstmals in Deutschland in Mühldorf eine Filiale in einer Stadt mit weniger als 30.000 Einw. eröffnet. Mit ca. 17.300 Einw. galt Mühldorf aber als interessanter Einzelhandelsstandort in Oberbayern, weil im Umkreis von 30 Autominuten mit 250.000 potenziellen Kunden gerechnet wurde und die nächste H&M-Filiale in Landshut 57 km und damit etwa eine Autostunde entfernt war.
  • 2012 wurde sogar eine Filiale im Ort Posthausen der Einheitsgemeinde Flecken Ottersberg mit 12.200 Einw. nur 19 km oder 15 Autominuten von der nächsten Filiale im Weserpark eröffnet, diese aber bei Dodenhof, dem größten Einkaufszentrum Norddeutschlands mit ca. 5 Mio. Besuchern jährlich.
  • Oktober 2013 neue Filiale mit 2.200 qm Verkaufsfläche in Nordhorn (52.000 Einw.) an der Grenze zur Niederlande. Nächste Filiale zuvor in Lingen (24 km oder 30 Autominuten).
  • November 2013 Neueröffnung in Buxtehude (39.700 Einw.) mit 1.700 qm Verkaufsfläche im neuen Rathausquartier. Zuvor nächste Filialen waren HH-Harburg (23 km oder 29 Autominuten) und Stade (24 km oder 24 Autominuten).
  • 2014 wird in Celle (69.000 Einw.) eine neue Filiale mit 1.800 qm eröffnet, bislang am dichtesten war Langenhagen (42 km oder 35 Autominuten).
  • Mai 2015 geplanter Baubeginn für einen Shop in Schwandorf (28.000 Einw.) in Bayern mit 2.300 qm Verkaufsfläche. Nächste Filiale derzeit in Amberg (25 km oder 25 Autominuten).
  • Herbst 2013 Umbau eines ehemaligen Textilkaufhauses in Ehingen (Baden-Württemberg, 24.600 Einw.) zur H&M-Filiale mit 2.000 qm, 26 km oder 30 Autominuten von der nächsten Filiale in Ulm entfernt.
  • Im Januar 2013 ließ die H&M-Pressestelle in Hamburg wissen, dass Stendal (40.000 Einw.) in Sachsen-Anhalt für H&M ein „interessanter Standort“ sei. Die derzeit nächste Filiale in Magdeburg ist 63 km oder 50 Autominuten entfernt.

Diese öffentlich zugänglichen Informationen über aktuelle oder geplante Filialeröffnungen lassen den Schluss zu, dass eine Filiale in Osterholz-Scharmbeck zwar nicht völlig unrealistisch scheint, sicher aber eine weitere „Lockerung“ der Ansiedlungskriterien seitens H&M voraussetzen würde. Nie zuvor ist eine Filiale in einem Ort dieser Größe eröffnet worden, wenn bestehende Filialen so gut erreichbar waren wie von uns aus. Eine H&M-Filiale würde auch kaum mit 1.000 qm Fläche auskkommen, sondern locker das Doppelte brauchen und dann einen Erlös von 7.6 Mio € jährlich versprechen müssen.

Wünschenswert?

Eine H&M-Filiale in Osterholz-Scharmbeck, dazu wird es immer verschiedene Meinungen geben. Soviel steht fest: zumindest ein Teil der Anwohner wäre mit dieser Nachbarschaft nicht einverstanden. Aber es ist nun einmal Innenstadt und ebenso wie die Nachbarn von Windkrafträdern oder Atommüllendlagern müssen auch Innenstadtbewohner ihre Interessen jenen der Allgemeinheit manchmal wohl unterordnen. Vorausgesetzt, dass es wirklich die Interessen der Allgemeinheit sind und nicht Partikularinteressen eines Investors oder gar eines anonymen Fonds.

Genau das ist ein wesentlicher Punkt: Niemandem hier vor Ort ist damit gedient, eine weitere seelenlose Asphaltfläche mit Parkplätzen a’la Aldi-Rückseite zu bewilligen, um noch einem Telefon-Shop, noch einer Versicherung und noch einem jährlich wechselnden „Start-Up“ zweifelhaften Nutzens Herberge zu bieten. Geschweige denn 1.000 qm Leerstand, weil eine weitere Kette nach zwei Jahren wegen Insolvenz oder größeren Raumbedarfs mal eben umdisponiert. Eines ist mir bei den Recherchen klar geworden: H&M wäre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine solide Ansiedlung, besteht aber auf der „1a-Lage“. Und die haben wir in Osterholz-Scharmbeck in absehbarer Zeit genau einmal zu vergeben. Wenn also diese Alternative in Betracht gezogen werden soll, dann muss es jetzt geschehen. Und dann muss man auch bereit sein, über mindestens 2.000 qm zu reden. Was eine nennenswerte Anzahl von Wohnungen an diesem Standort vermutlich ausschließt.

Fazit

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass eine H&M-Filiale in Osterholz-Scharmbeck nicht gänzlich ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich ist. Wenn überhaupt, dann nur jetzt, nämlich „Hinter der Kirche“ mit einer Fläche von mindestens 2.000 qm. Da die Firma H&M sehr feste Vorstellungen über ihre Ansiedlungspolitik hat, sollte sich die Frage von berufener Seite vermutlich rasch klären lassen. Andernfalls nämlich braucht man auch nicht mehr ständig nach „großen Filialisten“ zu schielen und kann sich endlich machbaren und zukunftsfähigen Lösungen zuwenden.

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