Davidsohn (Familie)

Kaufhaus Davidsohn in Scharmbeck
Das Kaufhaus Davidsohn in der Poststraße (Foto von Bob Davidson mit frdl. Genehmigung von Jonathan Strauss)
Die jüdische Familie Davidsohn lebte etwa 200 Jahre lang in Osterholz und Scharmbeck. Unter ihnen waren hochangesehene Kaufleute und Lokalpolitiker, ihr Manufakturgeschäft und späteres Textilkaufhaus J. D. Davidsohn in der Poststraße war mehr als 160 Jahre lang eines der prägenden Merkmale von Stadtbild und Einkaufserlebnis. Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurden die hier ansässigen Familienmitglieder verfolgt und entrechtet, mindestens vier von ihnen kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Insoweit ähnelt die Familie in Vielem der gleichfalls jüdischen Familie Cohen (vgl. u. a. Clara und Siegmund Cohen), über die einer der Nachkommen ein beeindruckendes Buch (Beer K: Ein Denkmal der Familie Cohen) veröffentlicht hat. Nach meiner bisherigen Kenntnis fehlen vergleichbare historische Betrachtungen zur Familie Davidsohn, so dass die Geschichte der Familienmitglieder nur bruchstückhaft geschildert werden kann. Wesentlichen Anteil an dieser Darstellung haben Bob Davidson (USA) und Jonathan Strauss (London), die als direkte Nachfahren der Scharmbecker Davidsohns mit Unterstützung von Klaus-Peter Schulz viele Informationen zusammengetragen und Fotografien zur Verfügung gestellt haben.

Die Wurzeln

„Urvater“ der hiesigen Davidsohns war Moses Hein (gestorben ca. 1792), wohl ein Neffe von Levi Hertz, dem ersten namentlich erwähnten Jude in Scharmbeck. Moses heiratete Jette David (ca.1745-6.9.1825), im Jahr 1772 gründeten sie in der Obernstraße (später Poststraße 159 und heute Poststraße 4) ein Textilgeschäft. Jette und Moses hatten fünf Kinder:

  1. Miriam Davidsohn (∼1768-14.4.1816), verheiratet mit Jacob Nachmann aus Fulda
  2. David Moses Davidsohn (25.9.1780-8.6.1852), verheiratet seit 12.8.1806 mit Röschen Cohn.
  3. Johanne Davidsohn (∼1788-11.11.1873), verheiratet mit Meyer Aronsohn. Sie lebte 1830 und 1844 als Witwe in Scharmbeck.
  4. Friederike (Fratje) Davidsohn, verheiratet mit Joseph Michael Goldberger (10.3.1776-12.4.1859)
  5. Frommedt (Fromet) Davidsohn (gest. ∼1837), verheiratet mit Salomon Meyer aus Eicholz (2.3.1780-9.2.1865), der 1830 und 1844 noch in Scharmbeck lebte.

Röschen und David Moses Davidsohn hatten ebenfalls fünf Kinder:

  1. Moses David Davidsohn (12.8.1805-10.7.1857), verheiratet mit Rebecka Fontheim aus Diepholz (25.4.1800-17.6.1870)
  2. Frieda Davidsohn (geb. ca. 1808)
  3. Frodche Davidsohn (4.11.1810-1.11.1883 in Harpstedt), verheiratet mit Meyer Goldschmidt
  4. Isaac David Davidsohn (12.5.1813-20.4.1896), verheiratet seit 3.9.1845 mit Jeanette Joseph (2.9.1825-15.2.1907)
  5. Hein David Davidsohn (2.1.1820-8.5.1845)

Während sich Moses David im benachbarten Osterholz eine Existenz als Kaufmann aufbaute, blieb sein jüngerer Bruder Isaac David in Scharmbeck und übernahm die elterliche Firma. Deren späterer Name „J. D. Davidsohn“ ist auf die im 19 Jh. übliche Schreibweise Jsaac zurückzuführen, könnte theoretisch aber auch als Abkürzung für Jette David Davidsohn bereits während der französischen Besatzungzeit (1803-1813) entstanden sein, als die Juden französischem Recht folgend einen festen Familiennamen annehmen mussten.

Der „Osterholzer Zweig“

Seite 1 des Antrags
Als 19-Jähriger stellte Moses David 1823 beim Amt Osterholz einen Antrag auf Gewährung „Landesherrlichen Schutzes“ für eine Tätigkeit als Kaufmann in Osterholz. Er begründete ihn mit der Tatsache, dass zwei dort zuvor ansässige Handelsunternehmen nicht mehr existierten und ein Glaubensgenosse in Osterholz zwar bereits wohnhaft sei, sich aber ausschließlich vom Schlachterhandwerk ernähre. Außerdem habe er den Warenhandel bei seinem Vater hinlänglich erlernt, der sein Vorhaben auch finanziell unterstütze.

Seinem Antrag wurde stattgegeben und Moses David Davidsohn war auch 1830 noch als Kaufmann in Osterholz registriert. 1840 wurde er Bezirksvorsteher der jüdischen Gemeinde und 1844 war er Distriktvorsteher. Rebecka und Moses David Davidsohn hatten vier Kinder:

Rosalie Levison
und
Emma Bauchwitz
1. Rosalie (Roeschen) Davidsohn (11.11.1832-6.2.1919)
heiratete am 18.6.1856 Abraham Levison (14.6.1814-7.10.1898) aus Bückeburg. Die Levisons hatten vier Kinder. Ihre Tochter Emma (7.5.1857-11.7.1942) heiratete 1883 Leopold Bauchwitz aus Neustadt (Dosse) und wurde 1942 in Theresienstadt ermordet. Einen Teil der Informationen in diesem Artikel verdanken wir ihrem Urenkel Jonathan Strauss aus London. (Abb. mit frdl. Genehmigung von Jonathan Strauss) Emmas Schwester Bertha heiratete Bernhard Kramer, ihr Sohn Albert Kramer (18.8.1887-6.10.1942) war als Stadtdirektor von Köln einer der wenigen jüdischen Beamten in der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, er kam in einem Konzentrationslager ums Leben.

2. Jen Davidsohn (geb. ca. 1837)
heiratete am 8.11.1861 in Scharmbeck David Delmonte (geb. ca. 1833).

3. Ernst Jacob Davidsohn (2.4.1841-5.3.1918)
heiratete am 21.6.1871 in Rheine Betty Ephraim (17.8.1847-22.9.1927).

4. Sophie Davidsohn (geb. 25.4.1845)
verheiratet mit Theodore Ephraim.

ehem. Findorffstr. 27 (abgerissen)
Ernst Jacob Davidsohn übernahm den elterlichen Betrieb, 1873 war die Fa. J. Davidsohn in der Hauptstraße 27 (später Unter den Linden, heute Findorffstraße 6, das Gebäude wurde in den 1970er-Jahren ebgerissen) als eines von fünf jüdischen Unternehmen in Osterholz verzeichnet. 1878 wurde der „Kaufmann Jacob Davidsohn“ zum Ersatz-Schöffen für das Amt Osterholz und 1903 zum Rechnungsführer der Israeliten-Gemeinde Scharmbeck/Osterholz gewählt. (Quelle: Menkhoff) Betty und Ernst Jacob hatten drei Kinder:

1. Rebecca Sophie Davidsohn (14.10.1874 – 10.3.1902)
heiratete am 19.11.1898 Max Mengers (geb. 21.7.1872). Sie starb im Alter von 27 Jahren in Hamburg.

2. Ida Davidsohn (geb. 24.3.1876)
heiratete am 5.9.1903 Heinrich Heilbuth (oder Heilbut, geb. 8.11.1870) aus Lübeck. 1918 lebten sie in Hamburg

3. Dr. Egon Davidsohn (geb. 13.4.1880)
studierte im Sommersemester 1903 an der Königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin und wohnte zu dieser Zeit Am Glockenbach 23/0. Später heiratete er Toni Grappel (oder Grassl) aus Untertürkheim.

Im Oktober 1916 kam es im Hause Davidsohn zu einem Brand, bei dem dank nachbarschaftlicher Hilfe nur geringer Schaden entstand. Im November 1916 wurde die Fa. M. D. Davidsohn im Handelsregister beim Amtsgericht gelöscht. Am 8.4.1919 wurden Haus und Grundstück (ca. 32 ar 04 qm) zum Verkauf angeboten und am 15.4.1919 in der Wohltmann’schen Gastwirtschaft öffentlich zum Aufgebot gebracht. (Quelle: Zeitungsannoncen)

Der „Scharmbecker Zweig“

Jeanette und Isaac David Davidsohn blieben in Scharmbeck, sie gehörten 1830 und 1844 zu den jeweils acht jüdischen Familien des Fleckens (Quelle: Menkhoff) und hatten neun Kinder:

Emil Davidsohn
Emil Davidsohn

Hermann Davidsohn
Herman Davidsohn

Hermine Leeser geb. Davidsohn
Hermine Leeser
  1. Emil Davidsohn (7.10.1846-27.12.1914), der in die USA auswanderte und 1914 in Quincy, Illinois starb.
  2. Julius Davidsohn (15.12.1848-15.5.1858), im Alter von neun Jahren verstorben.
  3. Rosalie Davidsohn (9.9.1850-2.8.1924), verheiratet mit Alexander Löwenstein (19.8.1846-7.12.1929). Ihr Sohn Carl (Karl) Löwenstein (geb. ca. 1879) floh mit seiner Familie 1933 nach Amsterdam (Scheldestraat 108) und dessen Sohn Bernd Löwenstein (geb. 1916) beabsichtigte 1938, in die USA auszuwandern.
  4. Fredericke Davidsohn (22.10.1852-11.7.1925).
  5. Johanna Davidsohn (8.4.1855-13.3.1932), verheiratet mit Lewin H Cohen (ca. 1842-28.9.1888).
  6. (David) Eduard Davidsohn (26.4.1857-21.12.1917), verheiratet mit Ottilie Leeser (2.9.1860-7.4.1939).
  7. Sally Davidsohn (26.9.1859-ca. 1938), verheiratet mit Toni Goldschmidt (27.12.1877-28.7.1942) aus Harpstedt.
  8. Herman Davidson (3.2.1862-7.3.1925), verheiratet mit Irene Charlotte Meyer (23.6.1874-17.1.1955) aus Quincy, Illinois. Sein Enkel Bob Davidson hat viele Informationen und Abbildungen für diesen Artikel zusammengetragen.
  9. Hermine Davidsohn (21.8.1863-ca. 1925), verheiratet mit Jacob Leeser.

Abb. mit frdl. Genehmigung von Bob Davidson

Das Kaufhaus J. D. Davidsohn war 1873 als eines von sechs jüdischen Unternehmen in Scharmbeck verzeichnet, 1878 wurde ein Neubau bezogen, der im Wesentlichen heute noch erhalten ist. 1892 übernahmen Eduard und sein Bruder Sally die Firma.

Als 24-jähriger wurde Eduard 1881 Vize-Schützenkönig. 1893, 1897, 1911 und 1915 wurde er zum Bürgervorsteher und 1906 in den Aufsichtsrat der neu gegründeten Spar- und Vorschußkasse gewählt. 1902 erwarb er das Kohlmannsche Erbe an der Bahnhofstraße 280 (heute Bahnhofstraße 84). 1909 war er Vorsteher der Synagogengemeinde Scharmbeck, 1910 gewann er vor dem Landgericht Verden zwei das Wegerecht betreffende Prozesse gegen die Gemeinde und den Schulvorstand der Scharmbecker Schule. 1913 ließ er von der Fa. Gottfried Stehnke in der Lindenstraße ein Haus bauen, das dem Gendarmeriewachtmeister als Dienstwohnung dienen sollte. (Quelle: Menkhoff)

Ottilie und Eduard hatten zwei Kinder:

  1. Johanna Davidsohn (geb. 8.3.1890) heiratete am 6.4.1919 den Zahnarzt Louis Rosendahl (29.5.1877-7.3.1958) aus Dortmund. Sie flüchtete mit ihrem Mann und ihrer am 19.8.1920 in Düsseldorf geborenen Tochter Gerda (später Gerda Richards) 1939 über England in die USA. Louis Rosendahl hat handschriftliche Erinnerungen hinterlassen, die im Leo Baeck Institute in New York digitalisiert abrufbar sind.
  2. Ernst Davidsohn (27.7.1891-ca. 28.7.1942), ermordet in Minsk.

Toni und Sally Davidsohn hatten drei Kinder:

  1. John („Johan“) Davidsohn (geb. 1.8.1904), konnte 1939 noch nach England flüchten, wo er Else Eichwald heiratete. Er emigrierte 1946 in die USA und starb im September 1985 im Staat New York.
  2. Ilse Davidsohn (22.1.1906-ca. 1942), ermordet im Ghetto von Minsk.
  3. Gertrud Davidsohn (13.9.1908-11.4.1909), die als Säugling starb.

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